Bei diesem "historischen" Roman geht es um den angeblichen Apokalypse-Hype im Übergang vom Jahre 999 zum Jahre 1000. Dass es eine solche Hysterie gegeben hat, ist mehr als zweifelhaft, jedoch ist Dahn selbst mit seinem Roman wohl entscheidend an der Entstehung dieser Geschichtslegende beteiligt gewesen.
Spoiler:
[…] Es gibt keinen eindeutigen Beleg, der von einer »allgemeinen« Weltuntergangsstimmung exakt um das Jahr 1000 spricht. Trotzdem behauptet sich diese These, zumal in der deutschen Literatur. […] Sicher handelt es sich um eine neuzeitliche und seit dem neunzehnten Jahrhundert in Norddeutschland und Skandinavien auch in der Populärwissenschaft verbreitete Legende. Dabei hat wahrscheinlich der vor hundert Jahren Romane schreibende und Generationen lang mit seinem »Kampf um Rom« den Bestseller unter den Konfirmationsgeschenken liefernde Felix Dahn ein entscheidendes Wörtlein mitgeredet.
Felix Dahn, von Beruf Juraprofessor, von Gesinnung wenig kirchlich, mehr den heidnischen Germanen zugetan, hatte einen Roman geschrieben zu diesem Thema: »Weltuntergang. Geschichtliche Erzählung aus dem Jahre 1000 nach Christus« […]. Darin kolportiert der spätromantische Realist Dahn diese fixe Idee vom Ende der Welt am Silvesterabend des Jahres 999 mit dem frechen Satz: »Morgen um die zwölfte Stund’ Heia, geht die Welt zugrund’!« Dieser Satz wie auch der ganze Roman bezeugen, wie vor der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert dem ersten Millennium keineswegs ein echtes apokalyptisches Gewicht zugesprochen wurde, sondern der Jahreswechsel zum Jahr 1000 als bloße Gegenmetapher für die Rückständigkeit des katholischen Mittelalters im Gegensatz zum Optimismus der Moderne veranschaulicht wurde. Dahn erdichtete eine zum Glauben zwingende Enzyklika des Papstes Silvester II. (999-1003): »Wer noch zweifelt, ist verstoßen aus der Kirche Heilverein. Wenn die Sommerwende wendet mit dem Schlag der Mitternacht. Untergeht die Welt und endet: hab auch eure Seele acht.« Diese Enzyklika, die eine Weissagung des Heiligen Nilus veranlaßt haben soll, wird »in deutschen Gauen« allerorten vom »Brennerberg« bis nach Dänemark öffentlich verlesen: »Das Ende bricht herein! Tut Buße! Bereitet euch, den fürchterlichen Richter zu empfangen.« Selbst der junge Kaiser Otto III. bekennt vor dem Heiligen Nilus unter Tränen: »Wohl mir, daß ich nie an Dir gezweifelt, Du Heiliger des Herrn.« Es bricht ein politisches Chaos aus und – eine schon ins 20. Jahrhundert weisende Sottise Dahns – die braven Frauen, dabei auch eine fromme »Religiose« mit dem sinnigen Nahmen »Minnegardis«, erlauben sich freie Liebe. Jedoch die apokalyptische Weissagung vor dem ersten Millennium entpuppt sich als Betrug aus dem »Welschland« Italien. Eine vorgeblich alte papistische Urkunde wird als Fälschung entlarvt, freilich erst, nachdem in der Silvesternacht nichts Weltbewegendes geschehen ist: »Vorüber ist der gefürchtete Tag, und die Welt – steht noch! Es war ein Wahn […].« – Übrigens begegnet schon bei Felix Dahn die optimistische Deutung der scheinbaren Weltkatastrophe, die wir aus dem zwanzigsten Jahrhundert, etwa aus der Beliebtheit von Luthers angeblichem Apfelbäumchen-Spruch kennen: Ein alter Mann erzählt, wie er am späten Abend vor der drohenden Stunde frische Lilien aus seinem »Neugarten« gepflückt habe. Und zum Schluß des Romans heißt es frohgemut: »Morgen dann – da uns der liebe Gott nicht mehr bedroht! – morgen ist auch noch ein Tag.« [...]
Reinhart Staats: Apokalyptischer Rückblick vom Jahr 2000 auf das Jahr 1000. – In: Manfred Jukubowski-Tiessen u.a. (Hrsg.): Jahrhundertwenden: Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. 1999. S. 369f.
Der Roman erschien zuerst 1873; er erscheint hier nach der neunten Auflage des Jahres 1912.
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