"Gedichte" von »Richard Hugo« ist 1891 die erste lyrische Buchveröffentlichung von Ricarda Huch. (Zur durchgreifenden Umarbeitung des Bandes im Hinblick auf die Neuausgabe 1894 unter eigenem Namen siehe hier.)
Spoiler:
Ricarda Huch benutzt für ihre erste lyrische Veröffentlichung als Pseudonym den Vornamen ihres Geliebten Richard Huch und verwandelt den gemeinsamen Nachnamen in Hugo. Dass zumeist eine Frau spricht, bleibt dem Leser dennoch unverborgen.
Richard war ihr Vetter und mit Ricardas älterer Schwester verheiratet. In der Figur der Galeide aus "Erinnerungen Ludolf Ursleus des jüngeren" (1893) hat die Autorin sich selbst porträtiert. Als solche weicht sie dort nach Zürich aus und studiert am Konversatorium die Violine. In Wirklichkeit studierte Ricarda ebenda Geisteswissenschaften, promovierte und wurde zunächst Bibliothekarin; in der Zürcher Zeit (1887-96) entstanden u.a. der Gedichtband und der erste Roman. Die umgebende Bergwelt ragt auch thematische in den ersten Gedichtband hinein.
Wilhelm Emrich, der Herausgeber der "Gesammelten Werke" (1966 ff.), hält nicht allzuviel vom lyrischen Frühwerk der Ricarda Huch, weil sie der typischen Gefahr des Jugendstils, sich blind der Überschwemmung durch Emotion hinzugeben und im Bewusstsein, aber auch künstlerisch, der Regression zu verfallen, nicht gewachsen gewesen sei. Das Ergebnis sei tendenziell ein Erlöschen der kritischen Distanz in einer mythisierten Lebens- und Todesverklärung, was in einen resignativen Fatalismus münde und zudem kitschanfällig sei.
Das ist nicht von der Hand zu weisen. Man darf freilich nicht vergessen, daß Ricarda Huchs schriftstellerische Anfänge, besonders die Lyrik und der erste Roman, eben auch poetische Versuche der Bewältigung ihrer unlösbaren Liebesproblematik darstellten. Die Autorin zeigt deshalb zwar eine gewisse Vorliebe für Themen wie Tod und Untergang, und die Todessehnsucht aus unerfüllbarer Liebe paart sich dabei gern mit dem Vanitas-Motiv ("Alles ist eitel!"); auch kann man, besonders in der Fassung von 1891, zu deutliche Spuren von Selbstmitleid nicht leugnen (weshalb eine erkleckliche Anzahl diesbezüglicher Texte in der 1894er Ausgabe auch gestrichen wurde). - Aber andererseits beweist der artifizielle Umgang mit verschiedenen lyrischen Sprechhaltungen, Bildebenen und Formen, dass eine Objektivierung des eigenen Leidens immerhin angestrebt wurde, und dies oft genug mit selbstironischen Untertönen, die Emrich entgangen sein könnten. Auch die Umdeutung überkommener Bilder wie "Medusa" oder "Salomo" verweisen gerade nicht auf regressives Absaufen im Strudel der Gefühle, sondern auf bewusstes und kritisches Hinterfragen der Tradition.
Wie es die Ironie des Schicksals will, konnten Ricarda und Richard, nachdem die Dichterin eine erste Ehe 1906 durch Scheidung beendet hatte, nach 20 Jahren Warten 1907 zwar endlich heiraten; die Beziehung verlief jedoch, wie kaum anders zu erwarten, unglücklich und endete 1911 ebenfalls mit Scheidung.
Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Liebesproblematik, die den Hintergrund - nicht nur - des Frühwerks der Ricarda Huch bildet, zuletzt das Ergebnis einer hochstilisierten Phantomisierung real kaum belegbarer Abbilder des Wirklichen war, weshalb dann die tatsächlich eingegangene Ehe auch scheitern musste; Richard erklärte bezeichnender Weise im Rückblick: "Ich war für Ricarda nur ein Phantasiegebilde." -
Dem mag so sein. Geblieben ist das Werk.
Die Entstehung dieses elektronischen Buches verdankt sich - auch in puncto OCR - dem feinen Hathi-Download-Helper.
Am Ende des eBooks wurde zusätzlich eine Liste derjenigen Texte eingefügt, die von Ricarda Huch nicht in die Ausgabe von 1894 aufgenommen wurden; sie erschienen erst wieder in der Edition der "Gesammelten Werke" (1966ff.).
Das Cover beruht, wie das der 1894er Ausgabe, abermals auf einem Bild von Friedrich König. Die Original-Bände besaßen keine Umschlag-Bilder.
Das eBooks enthält versteckte Seitenzahlen (ggf. PN oder eMail).
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